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Und das kam so…

Eines Tages, ich schrieb seit Jahren ein albernes Tagebuch auf totes Gebäum und später zu Beginn des Computerzeitalters in meinen Computer hinein, dachte ich im Jahre 2002 plötzlich, dass ich das, was ich so denkepopenke ja auch aller Welt zum Lesen bereitstellen könnte. Natürlich wäre es mir hochnotpeinlich gewesen, wenn auch nur irgendein Mensch auf dieser Erde je in mein Tagebuch geblickt hätte. Aber nun. In Unkenntnis über das Wesen eines Bloges, bastelte ich mir eine Seite auf unserer Royalkommseite und schrieb fortan selbstausgedachtes Tagesgeschehen (nah an der Realität) hinein. Und eines Tages kam der Moment, an dem mir nichts mehr einfiel. Nicht, dass nichts passieren würde in meinem obskuren Leben voller Schaffung und Blaffung, aber es ist alles so irgendwie nicht erklärbar, ohne dass es psychopathisch rüberkäme. Man würde sicher einen Krankenwagen rufen, würde ich mein Gehirn 1:1 in dieses Medium hinschreiben. Vielleicht würde man auch Fips Asmussen rufen oder Pinocchio oder Salman Rushdie. Was also bleibt mir übrig? Nur noch mein Morgenkaffee, der ist mir geblieben und ein kurzer Gedanke getippt auf dem iPhone und gepostet via flickr und gelesen von Frau Fragmente und der Blogpuppe.
Nun wäre es angesichts der Aufgewühltheiten in diesem Lande, ob des Amoklaufes mal wieder an der Zeit etwas zu sagen, weil es was zu sagen gibt. Und es ist gar nicht der Amoklauf oder der junge Mann an sich, der zum Schreiben mich bewöge, sondern wieder einmal die Institution Gesellschaft, die sich fortwährend wundert über sich selbst. Heuchlerisch, bigott, krankhaft eifersüchtig, dumm und unliebenswert. Nicht mal wie dumme Kinder, naiv und unwissend. Das ist die Krux. Das ist der lähmende Moment, in einem Land zu wohnen, das alle Möglichkeiten hat, doch sie nicht nutzt. Ein Land und seine Gesellschaft, die seit Jahrzehnten im Mittelmaß rumdümpeln und in dem das Gros der Gesellschaft von etwaigen Underdogs und Freaks erwartet, dass sie sich diesem Mittelmaß anpassen. Das fängt im Kindergarten an, spielerisch und kindlich, doch gesteuert von den Eltern und ihren Erwartungen und es wird in der Schule zur Hölle. Dort gesellt man sich ins Mittelmaß oder es gibt aufs Maul. Dass Schüler mal mehr mal weniger andere Mitschüler in den Wahnsinn treiben, mobben, verprügeln, vergrätzen, ausstoßen, etc. Das wird hingenommen wie ein Naturgesetz. Ich glaube ganz sicher, dass man sich diesen Umständen erwehren kann, aber dazu müsste man sich ernsthaft und mit Engagement dafür interessieren. Doch die Hoffnung, dass die Schule die lästige Erziehung übernimmt ist übermächtig. Björn Grau hat das auf seinem Blog sehr gut und mit viel Liebe und Verstand beschrieben. In den Kommentaren beschreibt dann jemand, dass Eltern nicht immer Vorbild sein könnten, weil sie Gegenstrategien entwickeln müssten, um selbst nicht auszuflippen. Damit konnte man ja nicht rechnen, dass es mal kompliziert und anstrengend wird. Diese Ansicht beschreibt eine erbärmliche Kapitulation vor den eigenen Pflichten. Als wäre nach sechs Jahren mit dem Kind, die mehr oder weniger im Knuddelmodus miteinander verbracht werden, die Erziehungsarbeit abgleistet, eine Verlängerung des Vertrages unmöglich. Vielleicht vergegenwärtigt man sich aber vor der Zeugung, dass es mal locker so 20 Jahre werden können, die man mit dem lästigen Balg (un)günstigerweise verbringen muss. Und falls man nun doch ein wenig Grips, Herz, Seele und Verstand besitzt kann man diese, ganz sicher superschwere Aufgabe, auch verrichten. Dass sich Kinder und Jugendliche der Wachsamkeit zu entziehen wissen, falls man nicht despotische Kontrollmaßnahmen ergreift, ist sicher nicht zu ändern und ein wichtiger Teil der Entwicklung, aber man darf Kinder in dieser Zeit, bestehend aus Leistungsdruck und Orientierungsversuchen am allerwenigsten alleine lassen. Wie kann es sein, dass Schüler jeden Tag vor der Schule von Kindergangs bedroht und ausgeraubt werden, ohne dass dies bemerkt und unterbunden wird und zwar so, dass wenigstens die Schule an sich, als sicherer Ort betrachtet werden kann? Der schäuble-esque Wahn, Kameras aufzustellen und Telefonate abzuhören, Menschen auf Verdacht in Gewahrsam zu nehmen, Daten auf Vorrat zu speichern, etc. hat für solche Angelegenheiten noch nicht mal einen schlechten Plan. Die Problematik ist offenbar nicht bekannt.
Wenn man aber in diesen Phasen alleine gelassen wird und sich dem Mob hilflos ausgesetzt fühlt, wohin kann man dann noch gehen? Wie weit darf man dann gehen? Ich selbst war früher nicht der am arm-dran-seienste, doch ich kenne solche Vorgänge aus Sicht des Opfers und aus der des Agierenden. Die Bilder und Foltermethoden, die ich in meinem Kopf entwickelt habe, um meinen Peinigern Schmerz fühlen zu lassen, will ich hier nicht wiedergeben. Splatter. Wie weit sind solche Gewaltphantasien von der Tat entfernt. Meine Eltern hatten nie Waffen zu Hause rumliegen und Waffen waren auch in meinem Leben immer eine höchste absurde Angelegenheit. Der aufgeladene Hass, der in immerwährender Form jeden Tag in den Schulen und Schichten produziert wird, wird in 99,99% der Fälle in angemessener Form abgeleitet und verarbeitet. Vielleicht auch (und warum auch nicht) beim Anschauen von Gewaltfilmen oder von Spielen, deren maßgeblicher Inhalt es ist, anderen (Computersimulationen) das Gehirn in Fetzen zu schießen. So geht das eben. Bilder malen, krude Geschichten schreiben, Satansmusik hören, Hip Hop, Sport, kleinkriminelle Gangs gründen, Schnaps saufen, Drogen nehmen in allen Variationen, mit Eltern drüber sprechen, mit Freunden drüber sprechen, depressiv werden oder (in den zum Glück seltensten Fällen) Leute erschiessen. Wie okay sind eigentlich Jugendliche, wenn sie diese drastischste Kanalisation doch nur zum Glück so selten für sich in Betracht ziehen? Und wie soll eine Welt aussehen, in denen man die Menschen sich zunächst selbst überlässt, um sie dann am Schulportal nach Waffen zu kontrollieren?
Der Junge von Winnenden ist nicht der Rächer der Geschändeten, er ist eine tragische Figur, die viele tragische Momente produziert hat. Seine Opfer und deren Angehörige, die Zeugen der Tragödie sind bedauernswerter als er, der er niemals auch nur in die Nähe eines Helden gerückt werden darf. Er wäre aber wieder mal ein Anlass, darüber nachzudenken, was man an diesen deutschlandweiten täglichen Miseren ändern könnte. Aber schon in einer Woche ist er von den Mattscheiben verschwunden. Ein bißchen noch wird man den Blog- und Microblogbetreibern Ein- oder Blauäugigkeit vorwerfen. Weil man das leicht kann und weil es ja zum Teil auch so ist. Mit Sicherheit weiss auch und vor allen Dingen ich nicht, was zu tun wäre, zum Beispiel auch deswegen, weil ich kein Kind habe und mir nur Mühe geben kann, mich in diese Situation hineinzudenken. Vielleicht ist es ein Anfang, in seiner eigenen Zelle mit dem Kehren anzufangen. Da geht es dann nicht um die ganze Gesellschaft, sondern nur ums eigene Einzelkind, einen Praktikanten, einen Schüler oder Nachhilfeschüler, den Nachbarsjungen, die Tschabos vor der Haustür mit ihren großspurigen Sprüchen oder um einen Kunden. Diese Aufgabe erschlägt doch nicht, ist kein Gebirge, nur ein Berg, entlässt einen aber auch von der Ausrede immer auf die zu warten, die ja doch nichts ändern.

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