Und dann saßen wir da. Wie vom Donner gerührt. Wembleysituation, nur zweimal gebraten. Vor dem Spiel hörte ich immer nur Gerrard, Lampard, Rooney, Gerrard, Lampard, Rooney, Gerrard, Lampard, Rooney, Gerrard, Lampard, Rooney. Als gäbe nur die drei. Und dann semmelte Frank Lampard in der 40. Minute das Ding (Fußball) an die Latte und der Ball landete einen halben Meter hinter der Linie auf dem jenseitigen Rasenabschnitt, wovon er springend abermals die Latte berührte und dann aus dem Tor hüpfte. Es konnte jeder sehen, nicht erst in der Zeitlupe, aber dann passierte das ungeheuerliche, der Schiedrichter entschied auf… ach was erzähl ich, Sie waren ja alle dabei. Es war furchtbar. Es bedeutet für uns schlicht und ergreifend: 44 Jahre Gutsmenschendasein aufgrund der Anerkennung eines Tores für die Engländer, das keines war, waren nun dahin. Die Engländer waren wieder wer.
Die Strickbloggerin, der Ahnungslose, der Bayernfan, der Pfeifenmann und das Reh… alle saßen da und es war nur schwer so etwas wie Freude über die geschossenen Tore zu vernehmen. Nur der Eintrachtfan erklärte unablässig, wie das nun sei mit den Tatsachenentscheidungen und dass das den Fußball an sich ausmachen würde und Manuel Neuer sei kein Charakterschwein, weil er die Tatsache, dass der Ball 20km hinter der Linie gelandet sei, nicht dem Schiedsrichter (Telefon!) gemeldet habe und dass der Fluch von Wembley vielleicht ja auch nun von den Engländern abgefallen wäre und dass das ja im Grunde auch ganz gut sei, denn so könne es doch auch nicht weiter gehen, mit all dem Hass und der Sprache des Kriegs in den Gazetten. „Und jetzt mal ganz ernst!“ fügte er ganz ernst hinzu: „Ich hab noch nie eine deutsche Mannschaft so gut spielen sehen, wie die hier jetzt. Die führen die Engländer ja geradezu vor und das sind gestandene Männer, die in Spitzenclubs spielen. Das ist absolut verdient und jetzt hört auf zu heulen, ihr Sozialdemokraten!“
Er hatte ja vielleicht recht, aber man wird diesen tollen Sieg (ach Sieg, dieses Wort…) unter der Kategorie „Naja, man weiß ja nicht wie es ausgegangen wäre, wenn der Ausgleich gefallen wäre“ verzeichnen. Nun ist ja der Ausgleich auch tatsächlich gefallen, nur leider hinten runter und so machten die Engländer und der Italiener am Spielfeldrand lange Gesichter. Eine fast slapstickeske Kameraaufnahme von Fabio Capello machte die Sekunden zwischen : ) und : ( extrem drastisch und durchaus zur Erheiterung beitragend deutlich.
Mir wäre lieber gewesen das ganze hätte irgendwann im Finale oder so stattgefunden. Dass die Engländer so früh ausgeschieden sind, finde ich extrem schade. Aber sie haben auch keine weitere Spielminute des Dabeiseins verdient. Man kann diese Art und Weise, wie sie auf dem Rasen gestanden haben noch nicht mal als pomadig bezeichnen. Es war schlichtweg kein Versuch zu erkennen, die Spielfreude der deutschen Knaben auch nur marginal einzudämmen. Ich als inzwischen Topunsportler müsste natürlich sofort meinen Mund halten, aber auch ich bin vor vielen Jahren einmal in die Sportlichkeit abgedriftet. Im Schwimmclub war ich gar nicht so schlecht und beim Basketball mit garantiert echten amerikanischen Negern im örtlichen Kallebad standen wir schon morgens um 8 Uhr bereit mit unserer Mannschaft aus 1,70 kleinen, wahlweise mit Sonnenmilch und Schweiß verschmierten Fußballvereinsmitgliedern und mir (1,97m), dem Baum unter dem Korb und Garant für 30-40 Punkte in einem Spiel voller Stolpereien und Schrittfehlern, das war schon großes Tennis. Und dann hatte ich auch irgendwann, es muss so 1985/86 gewesen sein, das Gefühl, ich müsste am Frankfurter Marathon teilnehmen. Und so kaufte ich mir das Trainingsbuch eines gewissen Jeff Galloway, stand morgens um 5 Uhr auf und lief vor der Schule einige Kilometer und nach der Schule und abends und am Wochenende und überhaupt: immer. Man kann sich das kaum vorstellen, wenn man mich heutzutage so kennt, aber es ist die pure Tatsächlichkeit. Ich weiß aus dieser Zeit, dass man sehr wohl im Moment des größten Schmerzes und der glasklaren Erschöpfung Bäume ausreißen kann, wenn man einen Willen dazu definieren kann. Das sah ich aber bei keiner der inzwischen abwesenden Mannschaften und das ist die Krux. Als ich übrigens mit meinem Bemühungen, eine Teilnahme am Marathonlauf durch entsprechende Fitness gerecht zu werden, große Fortschritte gemacht hatte, wurde der Marathonlauf 1986 abgesagt, weil sich ein Sponsor zurückzog (oder so). Enttäuscht erwarb ich mir beim HL ein Sixpack Bier, trank es aus und hängte die Sportschuhe an den Nagel, wo sie immer noch hängen.
Und wo war ich stehen geblieben? Ach ja, diese Fußball WM. Ich habe mich also gestern doch noch gefreut, da ich mich aber eher immer in mich hineinfreue, konnte man das nicht so richtig erkennen. Leider gewannen anschließend die Argentinier dann gegen die armen Mexikaner (Schiedsrichter, Telefon!) und nun wird also auf der nächsten DUWEISSTSCHON13000 statt einer Lesung (gähn!) ein Viertelfinale mit deutscher Beteiligung im Rahmen der diesjährigen Fußball WM für alle gut sichtbar auf einer großen Leinwand übertragen (juhuu!). Ich hoffe ich darf das so sagen. Man weiß ja nie.
(Foto vom Foto von J. Alberto Carrasco / flickr.com)