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Ich starre stur

Guten Morgen Frühaufsteher. Was habe ich früher gemacht, wenn ich nicht schlafen konnte? Gut hört sich an: ich las ein Buch. Das war wohl auch so. Dann aber kam schon die Phase, da schaltete ich den Fernseher an, war ich doch fernsehsüchtig. Nie hat mich jemand gescholten, ich sei buchsüchtig. Seit 1991 schalte ich den Computer an, seit 2001 ist der sogar rund um die Uhr an und dann starre ich da rein. Da reinstarren, das sagen meine zu tiefst analogen Freunde. „Starrst den ganzen Tag in den Computer“. Dabei habe ich gar keinen Computer, ich habe einen Mac. Einen Apple-Computer allenfalls. Naja gut, ich starre also in den Computer. Falls sich jemand fragt, was ich da starre, ich kanns Ihnen sagen: ich bin informationssüchtig. Das war ich auch schon früher. Ich las, weil ich informationssüchtig war, schaute fern aus selbigem Grund und nun starre ich in den Computer, weil ich Informationen erhaschen möchte. Was passiert auf der Welt der bösen Börsen, wer marschiert wo ein, was treibt der Schah von Persien, wie stehts mit der Eintracht aus Frankfurt, was denken Blogger, wer mit wem in Twitter, was könnte man machen aus Hackfleisch und Kohlrabi, wie stehen die Akazien und so weiter und sofort. Gerade ist ein gewisser @tristessedeluxe erwacht. Er schreibt: „Wach geworden. Vielleicht kommt ja was im Fernsehen?“ Dann aber veröffentlicht er ein Foto von sich. Das ist nicht hochwissenschaftlichinteressant, das ist so normal interessant, weil es die Welt ist, in der ich lebe. Die Welt in der ich lebe ist nicht nur, wenn ich abends in der Kneipe sitze (ich muss dazu sagen, dass ich nie abends in der Kneipe sitze) oder das mit der Finnin oder wenn Gäste kommen und die Arbeit, all das. Das ist mein Leben, aber das Leben im Internet und mit all den Geistern, das ist auch ein wesentlicher Teil meines Lebens, Oft dekradiere ich dieses Leben und tue so, als ob mich das nicht anficht, als sei das albern und… ich will ja nur mal kukken… ist aber weiter nichts mit „denen“. Ich kenn die ja gar nicht. In Wirklichkeit weiß ich über diese Leute mehr, als über meine sogenannten Freunde. Sie offenbaren sich, sie lassen mich wissen, wann sie traurig sind, wann wohl auf und in wie fern übergeschnappt. Das sagen sie nicht in aller Plattheit und so direkt, sie teilen es aus. Es ist diese massive Anwesenheit, die Konkretheit ihres Daseins. Und, nein, ich spinne nicht. Mal sehen, wann die ersten dieser Menschen mir beim Umzug helfen. Das ist nicht mehr fern und dann sind sie die aus dem Internet und dann sind sie nicht wertvoller geworden, nur analog. Vorher las ich ihre Blögge. Ich hatte Böcke. Zum Beispiel diesen hier von Katja Klein. Sie ist auf der anderen Seite @riot36 und wenn ich mir ihren Blog ankukke, dann ist das da näher dran an, als alles Geschwafel und wie man sein will. Ohne Worte quasi, nur mit Bildern. Doch davon konnten Sie sich ja nun selbst überzeugen. Das ist starren ins Internet. Ich kann gut auf die Erzeugnisse aus totem Papier von den Konsorten Spiegel, Zeit, taz, Welt, SZ und Spex verzichten. Man müsste sie nicht auf Papier produzieren um jeden Preis. Die Zeiten sind vorbei. Es ist mir gut im Internet. Nein, es reicht mir nicht, es ist besser als auf Papier. Haptik hin oder her. Ich starre so gern ins Internet und wenn ich dazu ein Lied von James Morrison hören will (und das will ich höchstselten), dann kauf ich mir das bei iTunes und dann hör ich es. Und jetzt könnte ich an dieser Stelle 1.000 Sachen aufzählen und erklärbärig werden, als hätten nicht schon 1.000 andere das an 1.000 Stellen gemacht, aber ich habe mich gut im Griff. Reflektionsvermögen ist noch verhanden und nimmt deutlich zu. Das kommt vom Starren in mein Macbook Pro 2,93 GHz Intel Core 2 Duo-Prozessor, mit 6 MB gemeinsam genutztem L2 Cache, 1066 MHz Frontside-Bus, 4 GB (zwei 2 GB SO-DIMMs) mit 1066 MHz DDR3-SDRAM, zwei SO-DIMM-Steckplätze erweiterbar auf bis zu 8 GB und einem 17 Zoll Monitor der irgendwie glänzt. Es ist 5:37 Uhr und die Finnin starrt in ein ähnliches Gerät. Sie verändert die Tonwerte eines von ihr mit dem Mobiltelefon aufgenommenen Bildes von einem Osterstrauß, das sie in Ihrem Strickblog posten wird. Ich werde mir gleich via Google-Earth eine Wiese aussuchen. Dort werden wir uns dann so gegen 12:05 Uhr lümmeln und in mitten von Fuchsbandwurm und Stechmücken ein Leben in barer Analogie führen. Ohne in den Computer zu starren, aber vielleicht mit einem Blick ins iPhone. Dann wird das voll ocheeso gewesen sein, dann wird das ein „schöner Tag“ gewesen sein und wären wir zuhause sitzen geblieben und hätten in unsere Computer gestarrt, hätten wir diese Auszeichnung diesem Tag sicher nicht verliehen, aber wir werden froh sein, wieder in unsere Computer starren zu können ohne lästiges Getier und gleisende Sonne. So wird das sein und ich komm da nicht hin mein Leben blöd zu finden, kann mir mal jemand helfen?

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